Wie an der HSZG an der Kreislaufwirtschaft von morgen geforscht wird. Ein Interview mit Prof. Jens Weber.
Das frisch angelaufene EFRE-Projekt „Bewertung kreislauffähiger Werkstoffe für die Elektrotechnik“ ist nicht das erste interdisziplinäre Projekt von Prof. Jens Weber zum Thema Silikone in Hochspannungsisolatoren. In seinem jetzt geförderten EFRE-Projekt geht es um die Verbesserung des bald 100 Jahre alten Erfolgskunststoffes.
Im Interview berichtet der Professor für Physikalische Chemie an der Fakultät Natur- und Umweltwissenschaften von den Einsatzmöglichkeiten sogenannter Vitrimere, ihren Verbindungen zur Hochspannungstechnik und welche Bücher er Chemie-fremden Menschen empfehlen würde.
Professor Weber, in der Chemiewelt haben sogenannte Vitrimere für Furore gesorgt. Können Sie kurz erläutern, was man darunter versteht und was sie mit Ihrer Forschung zu tun haben?
Ja, gern. Während Thermoplaste, wie z.B. Polyethylen (PE) oder Polyethylenterephthalat (PET) aufgeschmolzen und damit in immer neue Formen gebracht werden können und deshalb im Prinzip gut recycelt werden können, ist das für Elastomere (z.B. Silikone) oder Duromere (z.B. Epoxyharze) nicht möglich. Einmal in Form gebracht, können diese Materialien eben nicht mehr umgeformt werden, was ihr stoffliches Recycling stark erschwert. "Vitrimere" kann als Oberbegriff für eine Stoffklasse von Kunststoffen verstanden werden, die genau dieses Problem durch eine „neuartige“ Chemie löst – eine Umformung der vernetzten Kunststoffe ist nun möglich.
Wenn Vitrimere solche Alleskönner sind, warum setzen wir sie nicht jetzt schon in Produkten ein?
Das Konzept ist noch recht neu, es wurde erst ca. 2011 von französischen Forschern aufgebracht bzw. vorgestellt. Am Anfang war es nur auf wenige, noch dazu neue Stoffklassen beschränkt, aber nachdem die Grundsätze weitgehend verstanden sind, wurden in den Laboren weltweit in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer Vitrimersysteme entwickelt, darunter eben auch Silikonelastomere. Allerdings ist der Weg aus dem Labor in die Anwendung und Produktion nicht einfach – neben dem Up-Scaling, welches nicht immer einfach so möglich ist, da neue Chemikalien in größerer Menge benötigt werden, müssen die Materialien auch technische Anforderungen erfüllen – sonst kommen sie nicht in den Markt. Hier wollen wir am Beispiel der Silikonelastomeren ansetzen und prüfen, ob und wie die neuen Materialien die hohen Anforderungen der Hochspannungstechnik erfüllen.
Sie zielen mit ihrer Forschungsgruppe besonders auf die Isolatoren in der Hochspannungstechnik ab,eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb unserer Hochschule besteht mit Prof. Stefan Kornhuber von der Fakultät Elektrotechnik und Informatik. Falls es gelingen sollte, die Silikonelastomere basierend auf Vitrimeren auch als Material in "echten" Anwendungen nutzbar zu machen, welche Auswirkungen erhoffen Sie sich?
Es wäre zuerst sehr schön, wenn durch die neue Chemie z.B. „Produktionsabfälle“ nicht entsorgt werden müssen, sondern recht einfach umgeformt und eben doch genutzt werden können. Ob und wie auch Isolatoren nach vielen Jahren im Einsatz nochmal neu genutzt werden können, ist noch nicht abschätzbar, schön wäre es. In jedem Fall können wir, auch angesichts der Bandbreite der Anwendungen von Silikonen, hier einen echten Beitrag zum Übergang in die Kreislaufwirtschaft leisten.
Chemie steht bei vielen Leuten als Synonym für künstlich, unnatürlich und manchmal auch gefährlich für uns und unsere Umwelt. Haben Sie einen Einstiegstipp für Menschen, die gern anfangen würden, die heutigen Entwicklungen nachvollziehen zu können?
Naja, das Image der modernen Chemie ist zum Teil natürlich selbst verursacht, aber wir sollten uns immer klar machen, dass die Chemie erstmal nur die Lehre von Stoffumwandlungen ist (natürlich auch in der Natur!) und nicht per se schlecht. Als Büchermensch würde ich hier wohl am ehesten auf wunderschöne Bücher verweisen, z.B. von Jens Soentgen als etwas unorthodoxen Einstieg: „Wie man mit dem Feuer philosophiert: Chemie und Alchemie für Furchtlose“ oder auch „Die Elemente: Entdeckung und Geschichte der Grundstoffe“ von Philipp Ball. Die modernen Entwicklungen sind in diesen Büchern eher am Rande dabei. Dazu hilft vielleicht der Blick in ein Portal der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) zur Faszination Chemie.
Das Interview führte Kristin Sprechert.